Quantcast
Channel: spackblog
Viewing all articles
Browse latest Browse all 54

Leute, die anderen mangelnde Geschlechterausgeglichenheit vorwerfen

$
0
0

Bei Twitter begegnete mir in letzter Zeit schon mehrfach eine als Vorwurf formulierte Zahl, die ich ich nicht unkommentiert stehen lassen kann: Die #Krautreporter setzen sich zusammen aus 6 Frauen und 22 Männern, alle sind weiß.

Ernsthaft: Was ist Euer Problem? Da schließt sich ein Zirkel von Journalistinnen und Journalisten zusammen, die sich scheinbar irgendwie kennen und gegenseitig so weit vertrauen, dass sie sich an so ein Projekt heranwagen. Die Idee ist, dass die alle irgendwie Expertise auf einem Spezialgebiet haben. Warum ist das ein Problem, wie sie sich am Ende konkret zusammensetzen? Hier geht es nicht um Repräsentierung von gesellschaftlichen Anspruchsgruppen. Es geht hier um ein journalistisches Produkt, geschrieben von Expertinnen und Experten in mehr oder weniger gezielt ausgesuchten Ressorts. Es geht um eine funktionierende Arbeitsumgebung und um die Inhalte, die hinten raus fallen. Ist das weniger wichtig, als eine nach irgendwelchen Maßstäben ausreichend diverse Zusammensetzung des Teams?

Was bei solcher Kritik immer mitschwingt, ist selber ein unterschwelliger #Sexismus und #Rassismus. Denn um dieser Kritik schon im Vorfeld begegnen zu können, hätte man inhaltliche Erwägungen zurückstellen müssen und – damit alles schön divers ist – gezielt und vermutlich händeringend Leute suchen müssen, die man in erster Linie wegen ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts dazugenommen hätte. Das kann niemand wollen, denn genau das ist die Art von Sexismus und Rassismus, die gut gemeint sein mag, im Ergebnis aber höchst problematisch ist. Und, sorry, auch nicht besonders durchdacht ist. "Wir suchen eine schwarze Frau für unser Projekt, damit das nicht so undivers aussieht!" Wobei, ist eine #Post-Gender-Gesellschaft überhaupt unser Ziel? Oder das Ziel von Leuten, die solcherlei Kritik in den Raum stellen. Ich bin mir da nicht sicher, es drängt sich mir der Eindruck auf, dass hier Sexismus und Rassismus mit Sexismus und Rassismus bekämpft werden soll. In meiner idealen Welt ist das jedenfalls nicht wünschenswert. Und klar, das Argument ist alt, aber wird dadurch nicht falsch. (Bei der Gelegenheit fällt mir der wunderschöne Albumtitel von K.I.Z. ein: "Sexismus gegen Rechts".)

Wie auch immer. Wenn das nicht gemeint ist mit diesem Vorwurf, wird es noch unappetitlicher. Denn dann stünde die Unterstellung im Raum, diese Gruppe hätte mehr Frauen und mehr Menschen mit diversen ethnischen Hintergründen zur Auswahl gehabt, sich aber trotz vergleichbarer Eignung gegen sie entschieden. Das ist eine äußerst unschöne Unterstellung und ein schwerer Vorwurf, den man nicht mal eben so in einen Raum werfen darf.

Das Denkproblem entsteht in meinen Augen beim Übergang der Wahrnehmung eines gesellschaftlichen Misstandes hin zum Einzelfall. So wünschenswert #Geschlechterausgeglichenheit und #Diversity im Gesamtkontext sein mögen – und bereits hier lässt sich streiten – so wenig kann man sie im konkreten Einzelfall einfach einfordern. Je kleiner und intimer ein Team wird, umso schädlicher wäre es, ihm seine genaue Zusammensetzung auf Basis irgendwelcher externer Regeln zu oktroyieren. Man muss das nicht erst auf ein oder zwei Personen herunterbrechen, um die Absurdität eines solchen Ansinnens zu erkennen. Aber wo kann man mit dem Einfordern dann objektiv betrachtet anfangen? Also außer bei den Anderen? Kann man das überhaupt so konkret einfordern und jemandem mangelnde Geschlechterausgeglichenheit und Diversity im Ergebnis (nicht beim Prozess!) vorwerfen?

Liegt nicht gerade hier der Kern des Problems? Wenn ein Team-Zusammenstellungs-Prozess strukturelle Schwächen hat, kann man die aufzeigen und vielleicht auch einfordern, dass sie abgestellt werden. Aber meiner Meinung nach geht es den entschiedenen Schritt zu weit, bei Unkenntnis des Prozesses oder wenn darin keine Schwächen aufgezeigt werden können, das Ergebnis zu kritisieren, weil es einem nicht passt. Wer das tut, überschreitet eine Grenze und maßt sich Deutungshoheit über Sachentscheidungen anderer an. Eine Frechheit sondergleichen. Es steht jedem frei, eine Zusammensetzung doof zu finden. Aber es ist eben etwas anderes, einen Umstand einfach nur für sich selbst doof zu finden und jemandem diesen Umstand zum Vorwurf zu machen.

Vielleicht sind sie sogar selber unzufrieden darüber. Ich finde es zum Beispiel sehr unerfreulich, dass mein Team in der #FH immer nur aus Männern besteht. Allerdings: Bei genau 0 weiblichen Bewerbungen für meine Studentischen Hilfskräfte in den letzten Jahren ist es nicht so leicht, Frauen ins Team zu holen. Wenn mir dann jemand mit dem Vorwurf kommt, mein Team würde ja nur aus Männern bestehen, ist das ein Schlag in die Fresse. Ich bin froh um jede helfende Hand, die sachlich tauglich ist, die richtige Einstellung hat, zum Team passt und sich das HiWi-Dasein finanziell leisten kann. Das sind meine Kriterien, zudem hielte ich eine weibliche Ergänzung für wünschenswert, aber nachrangig (bzw. ist das kein Auswahlkriterium für mich).

Nehmen wir ein Gegenbeispiel, weil es sich so herum sachlicher betrachten lässt: In meinem Studiengang gibt es im aktuell frischen Jahrgang einen überwältigenden Überhang weiblicher Studierender. Das nehme ich aus verschiedenen Gründen durchaus als Problem wahr, aber so ist es nun mal gekommen. Da auf eine gigantische Anzahl von Bewerbungen nur 60 Plätze kommen und es keine absichtlichen Geschlechterdiskriminierungen gegeben hat, stellt sich natürlich die Frage, wie es dazu gekommen ist. Die Auswahl erfolgt nach NC, also ist ein (nicht von mir stammender) Erklärungsansatz, dass Männer hier grundsätzlich benachteiligt sind, weil sie im Mittel schlechtere Abiturnoten haben. Ich habe nicht wirklich hinterfragt, ob dieser Zusammenhang besteht oder ob es einfach entsprechend wenige männliche Bewerbungen gegeben hat oder ob es eine zufällige Konstellation aus beidem und Wartesemestern gab oder was auch immer der Grund war. Aber es drängt sich durchaus die Frage auf, ob man in Zukunft nicht irgendwie eingreifen müsste. Ich finde ja, weil der #NC (+ Wartesemester) alleine ein denkbar ungeeignetes Kriterium ist. Aber nicht wegen einer möglichen Geschlechterungerechtigkeit (besteht die überhaupt?), sondern weil eine Abiturnote sehr wenig darüber aussagt, ob jemand die richtige Einstellung zu diesem Studiengang hat und vom Interessenprofil her passt. Wenn man überwiegend Leute mit Abiturnoten im besseren Einser-Bereich reinholt, bekommt man eben auch überwiegend die angepassten notenorientierten Leute (plus ein paar Leute mit bis zu 12 Wartesemestern, was die Sache immerhin etwas auflockert). Das kann gut ausgehen, muss es aber nicht. Dieser Umstand und ein kräftiger Schuss Gruppendynamik sorgen dafür, dass die sich in Noten widerspiegelnde Leistung und die (von mir empfundene und nicht proportional dazu stehende) Güte der Jahrgänge immens schwankt. Von Jahrgängen, die fast durch die Bank nicht mal zuhören bis zu Jahrgängen, die einen in der Gesamt- wie Einzelbetrachtung richtig stolz machen, hatte ich schon alles dabei. Ob das besser werden würde, wenn wir ein anderes Auswahlverfahren hätten, würde ich gerne mal ergebnisoffen ausprobieren.

Worauf will ich nun hinaus? Im Grunde nur auf eins: Ich kann es nicht ausstehen, wenn sich Leute im Ergebnis an geschlechterungerechten Zusammenstellungen abarbeiten, statt sich konstruktiv in (vermeintliche oder wirklich) geschlechterdiskriminierende Prozesse einzubringen. Es ist verführerisch leicht, lauthals den Männerüberschuss auf einem Podium anzukreiden und so sein tolles Problembewusstsein vorzuzeigen. Aber wäre es nicht letztlich zielführender, im Vorfeld daran mitzuwirken, dass auf einem geplanten Podium Geschlechtergerechtigkeit herrscht? Natürlich nur, wenn man wirklich Problembewusstsein hat. Zu aufwändig? Die Arbeit sollen andere machen? Dann unterlasst bitte das Rumschreien.

tl;dr: Was? Hat er Post-Gender gesagt??

Nachtrag 23.06.2014: Gerade flog ein schönes Grafitti durch meinen Twitter Stream, das hier prima reinpasst: "The grumpier you are, the more assholes you meet…"


Viewing all articles
Browse latest Browse all 54

Latest Images

Trending Articles





Latest Images